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Die klassischen Symptome von STIs (sexually transmitted infections) bakterieller Natur unterscheiden sich kaum zwischen Gonokokken, Chlamydien und Mykoplasmen. Alle diese Keime sind mittlerweile als Ursache für u.a. Harnröhrenentzündungen (Urethritis) und Enddarmentzündungen (Proktitis) beschrieben. Eine Urethritis geht mit Juckreiz, Brennen beim Wasserlassen und Ausfluss einher, eine Proktitis mit Krämpfen, Blähungen und blutigem oder schleimigem Ausfluss. Speziell eine Proktitis wurde lange anderen Erregern als Mycoplasma genitalium zugeschrieben.
Mycoplasma genitalium ist ein sehr kleines, zellwandloses Bakterium. Antibiotika, die in die Zellwandsynthese eingreifen (u. A. Penicilline und Cephalosporine wie Ceftriaxon), sind hier wirkungslos. Mittel der Wahl sind daher Azithromycin und Doxycyclin. Als Reserven kann auf Moxifloxacin oder das in Deutschland nicht verfügbare, aber importierfähige, Pristinamycin zurückgegriffen werden.
Laut Leitlinie der DSTIG sollte vor Therapie einer symptomatischen Urethritis bzw. Proktitis eine PCR erfolgen, um den Erreger eindeutig festzustellen. In der Praxis wird allerdings häufig eine Diagnose aus dem Therapieerfolg gestellt. Das heißt, dass zunächst auf Verdacht ein Antibiotikum verschrieben wird. Sollten die Symptome abklingen, war die Therapie erfolgreich und die Verdachtsdiagnose ist gesichert. Bei der Therapie von Gonorrhoen und besonders Chlamydieninfektionen gibt es Überschneidungen in der Wahl der Antibiotika. Und hier offenbart sich auch das größte Problem: die Resistenzbildung.
Ein konkretes Beispiel: Für eine symptomatische Chlamydienproktitis wird einmalig Azithromycin 1,5 g verschrieben. Gleichzeitig liegt eine asymptomatische M. genitalium-Infektion vor. Schlägt die Therapie an, sind die Symptome und die Chlamydien beseitigt - die Mycoplasmen waren dem Azithromycin allerdings auch ausgesetzt, ohne dass eine Therapie ursprünglich notwendig wäre. Sollten die Mycoplasmen jetzt eine symptomatische Infektion verursachen besteht die Chance, dass diese gegen Azithromycin schon resistent sind. Tatsächlich sind azithromycinresistente Stämme weit verbreitet und lassen sich bei nahezu 80% aller MSM (Männer, die Sex mit Männern haben) finden. Die nächste Wahl ist Doxycyclin, dessen Heilungschancen nur zwischen 30-40% liegen. Schlägt das Doxycyclin nicht an sind Reserveantibiotika notwendig. Diese wirken zwar sehr gut, aber es liegen gegen sie auch schon Resistenzen (ca. 13% aller MSM) vor. Ein Import von Pristinamycin (Pyostacine® aus Frankreich) als last-line ist teuer, bürokratisch aufwendig und wird nicht immer von den Kassen bezahlt.
Das Problem der Therapie ist also der unverantwortliche Einsatz von Antibiotika. Ein leitliniengerechtes Screening mittels PCR, bevor das Antibiotikum ausgewählt wird, ist demnach sinnvoll. Aber sollte jede zufällig durch eine PCR entdeckte asymptomatische bakterielle Infektion unabhängig vom Erreger auch direkt antibiotisch behandelt werden? Asymptomatische Infektionen mit M. genitalium verlaufen meist mild und rufen selten schwere Komplikationen hervor. Ist die Infektion allerdings entdeckt, ist es schwer keine antibiotische Behandlung vor dem Patienten zu rechtfertigen. Ein systematisches Screening auf diese Erreger sollte aufgrund der Resistenzlage daher nicht erfolgen. Die Behandlung findet dann nicht mehr im Sinne der Patient:in statt, sondern als public health intervention. Es werden also durch Therapie alle potenziellen Kontakte der Patient:in geschützt.
Die Behandlung von M. genitalium-Infektionen ist also ein diagnostisches und therapeutisches Dilemma. PCR-Tests der etwaige Resistenzuntersuchungen der Erreger sind praktisch schwer umsetzbar, auch unter Berücksichtigung der hohen Symptomlast der Patient:innen. Eine Therapie würde dadurch hinausgezögert. Ein nicht pharmakologischer Ansatz in der Therapie von asymptomatischen M. genitalium-Infektionen ist der Verzicht auf Sex bis zur Spontanheilung.
Durch die hohe „Spontanclearance“ der Erreger sind diese nach einigen Monaten oft nicht mehr nachweisbar. Anwendbar ist diese Art der Therapie aber nicht.
Quelle: www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC6433010/; www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/059-006l_S2k_Sexuell-uebertragbare-Infektionen-Beratung-Diagnostik-Therapie-STI_2019-09.pdf; praxis-prenzlauer-berg.de/DE/Mykoplasmen-und-Ureaplasmen-Behandlung.htm
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Die Erforschung von Langzeitnebenwirkungen sind bei lebenslangen Therapien wie der ART (antiretrovirale Therapie) von besonderer Bedeutung. INIs sind zudem eine relativ neue Wirkstoffklasse, zu der bisher wenige Langzeitdaten erfasst wurden. In einer Kohorten-Studie von Greenberg Et Al. wurde daher der Zusammenhang zwischen der Einnahme von INIs und Krebs untersucht. Die Studie inkludierte 29.340 Teilnehmer, die zum ersten Mal (ART-naiv) oder schon länger eine ART erhalten haben. Bei letzterer Gruppe wurde kein Zusammenhang zwischen der Einnahme von INI und Krebs-Inzidenz erkenntlich, während bei der ART-naive Patientengruppe sogar eine Abnahme der Krebs-Inzidenz beobachtet wurde.
Trotz der großen Studienpopulation sind für eine zuverlässige Aussage zu wenige Krebserkrankungen aufgetreten. Außerdem können langsam wachsende Tumore in dem Beobachtungszeitraum von 8 Jahren möglicherweise nicht ausreichend erfasst werden. Dennoch lässt die Studie von Greenberg Et Al. einen positiven Nutzen von INI, i.b. bei ART-naiven Patienten, für das Immunsystem und die Abwehr von Krebs, vor allem AIDS-definierenden Krebs, anmuten.
Quelle: ATIAS 2021- the 11th IAS Conference on HIV Science 18.-21.07.21
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Die Studienergebnisse zu langwirksamem Cabotegravir (Vocabria®) in Kombination mit Rilpivirin (Rekambys®) zur Anwendung in der ART (antiretrovirale Therapie) oder CAB-LA alleine als PrEP machen bisher einen guten Eindruck. Für einige ist eine achtwöchentliche Injektion einer täglichen Tabletteneinnahme durchaus vorzuziehen. Doch bei all den Vorteilen lohnt es sich, auch einmal die Nachteile zu beleuchten.
Die Entscheidung zur CAB-LA-basierten ART oder PrEP wird langfristig getroffen. Eine Umstellung oder ein kurzfristiges Absetzen (im Falle der PrEP) sind nicht möglich. Denn einmal injiziert bleibt das Cabotegravir sehr lange im Körper. Das geht aus den Daten der HPTN-077-Studie hervor. Im Mittel waren es bei weiblichen Teilnehmern 67 Wochen und bei männlichen 44 Wochen, bis im Blut kein Cabotegravir mehr nachweisbar war. In dieser Zeit ist durchaus mit Wirkung, Nebenwirkung und Wechselwirkung des Cabotegravirs zu rechnen. In den Studien HPTN-083 bzw. -084 schloss sich an die Injektionen zur PrEP eine Nachbehandlung mit FTC/TDF für ein ganzes Jahr an. In der Praxis wird das wohl kaum anders sein.
Aufgrund dieser Problematik ist auch die Zulassung für die injizierbare ART mit CAB-LA/RPV sehr eng geschnitten. Zur vorherigen stabilen Suppression (HIV-1-RNA <50 Kopien/ml) gesellen sich der Ausschluss von gegenwärtigen oder dokumentierten Resistenzen gegenüber NNRTIs oder INIs und die Abwesenheit virologischen Versagens unter einer dieser Wirkstoffklassen in der Vergangenheit. Injectables werden also von vornherein nicht allen Patienten zugänglich sein.
Der wohl prominenteste Vorteil dieser neuen Injectables ist die vereinfachte Adhärenz. Kein Wunder, denn eine Spritze alle zwei Monate ist deutlich weniger aufwändig als eine oder mehrere Tabletten täglich. Doch passt der Arztbesuch alle zwei Monate nicht zum gewohnten dreimonatlichen Rhythmus der meisten HIV- oder PrEP-Patienten. Ob sich das in der Praxis auf ein für die Patienten angenehmes Muster einpendelt, oder ob neben dem zweimonatlichen Injektionstermin noch ein dreimonatlicher Kontrolltermin angesetzt wird, muss sich zeigen.
Quelle: [1] Tail-phase safety, tolerability, and pharmacokinetics of long-acting injectable cabotegravir in HIV-uninfected adults: a secondary analysis oft he HPTN 077 trial; Raphael J Landovitz MD, Sue Li PhD, et al.; The Lancet Volume 7, Issue 7, E472-E481, July 01 2020